Start » Reisen » Bolivien und Pantanal » Politische Entwicklungen in Bolivien im 21. Jahrhundert
Politische Entwicklungen in Bolivien im 21. Jahrhundert
Nachfolgend werden einige charakteristische Linien in der politischen Entwicklung Boliviens im 21. Jahrhundert schlaglichtartig aufgezeigt.
Gespaltenes Land
Der Westen des Landes ist andines Hochland und indigen geprägt. Der Sitz der Regierung befindet sich in La Paz (2012: ca. 750.000 Einwohner, zusammen mit El Alto 1,6 Mio. Einwohner).
Der Osten des Landes besteht aus Tiefebenen und ist eher europäisch geprägt. Dies ist der wirtschaftlich stärkere Teil mit Tendenzen zum Separatismus. Hier befindet sich auch die Wirtschaftsmetropole Santa Cruz de la Sierra (2012: ca. 1,5 Mio. Einwohner).
Die größten Vorkommen an Erdgas und Erdöl sind hauptsächlich im Südosten des Landes, während die größten Lithium-Vorkommen unter dem Salar de Uyuni im Südwesten des Landes sind.
Die politischen Auseinandersetzungen in den letzten zwanzig Jahren hatten immer auch etwas Unversöhnliches, Demonstrationen mündeten des Öfteren in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Blutvergießen.
Evo Morales
Der wohl prägendste Politiker für Bolivien in den ersten zwei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ist Evo Morales vom Movimiento al Solcialismio (›MAS‹), der als Indigener (Aymara) mehrfach hintereinander ins Amt des Präsidenten gewählt wurde. Die ersten drei Wahlen (2005, 2009, 2014) haben dabei mit großer Stimmenmehrheit die Grundlage seiner Politik ermöglicht: Über die Rückabwicklung der Privatisierungen der Bodenschätze und deren Überführung in den Besitz des Staates sowie der Investition der Gewinne für soziale Aufgaben (u.a. Schwertpunkt Bildung und Gesundheit) wurde eine beachtliche Entwicklung des allgemeinen Wohlstandes herbeigeführt (vgl. dazu z.B. die Statistiken der Weltbank).
2009 wurde unter der Präsidentschaft von Evo Morales eine neue Verfassung eingeführt, die u.a. festlegt, dass ein Präsident nur einmal wiedergewählt werden darf. Bereits seine dritte Amtszeit war hoch umstritten: Seine Kandidatur 2014 wurde nur durch das Argument legalisiert, dass die erste Wahl unter einer anderen Verfassung stattgefunden hat und deshalb nicht zu werten sei. 2016 hat Evo Morales versucht, über ein Referendum die Zustimmung zu seiner nächsten Kandidatur 2019 einzuholen. In diesem Referendum hat die Wählerschaft jedoch ihre Zustimmung verweigert, woraufhin Evo Morales seinen Anspruch auf die Kandidatur als Menschenrecht geltend gemacht hat. Diese Legitimation hat das Verfassungsgericht gegenüber der Verfassung und dem Referendum als höherwertig eingestuft und Evo Morales damit die Kandidatur zu einer vierten Präsidentschaft juristisch ermöglicht.
Die Wahl im Dezember 2019 war bereits im Vorfeld durch harte Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern geprägt. Entgegen den Erwartungen hat Evo Morales auch diese Wahl gewonnen. Allerdings gab es auch einige Unregelmäßigkeiten: Die eklatanteste ist wohl die 24-stündige Unterbrechung der Auszählung, die bis heute nicht eindeutig erklärt ist. Für die Opposition waren diese Unregelmäßigkeiten Anlass genug, einen Wahlbetrug zu konstatieren, eine Behauptung ohne handfeste Beweise, die jedoch auch von der ›OAS‹ gestützt wurde und zu blutigen Unruhen unmittelbar nach der Wahl geführt hat. Das Ergebnis einer Untersuchung durch das ›MIT‹ hat Monate später zwar ergeben, dass Unregelmäßigkeiten in nennenswertem Umfang nicht festzustellen sind und auch dem entsprechenden Bericht der ›OAS‹ vorgeworfen, „zutiefst fehlerhaft“ zu sein. Zwischenzeitlich hat die Opposition mit Unterstützung des Militärs jedoch Evo Morales zum Rücktritt und ins Exil gezwungen. Daraufhin hat Jeanine Áñez, eine ultrarechte, militante Katholikin, sich Ende 2019 selbst als „Interimspräsidentin“ eingesetzt, was vom Parlament mehrheitlich nie legitimiert wurde.
Die im Oktober 2020 stattfindenden Neuwahlen hat dann Luis Arce vom ›MAS‹ eindeutig gewonnen. Die konservativen Verlierer der Wahl haben dieses Ergebnis anerkannt. Unmittelbar nach der Wahl konnte Evo Morales aus dem Exil zurück nach Bolivien.
Lithium
Bolivien verfügt über die weltweit wahrscheinlich größten Vorkommen an Lithium und steckt hierbei in einer Zwickmühle: Zum einen wird für die Ausbeutung der Vorkommen ausländisches Kapital und Know-How benötigt. Dem stehen jedoch Erfahrungen aus der jüngeren und älteren Geschichte entgegen, die zeigen, dass der Nutzen aus den Bodenschätzen nur zu einem sehr geringen Teil in Bolivien gelandet ist, und zu einem hohen Anteil an das Ausland abgeflossen ist.
An der Ausbeutung sind Firmen u.a. aus den USA, China, Russland und Deutschland interessiert. Bolivien verfolgt hierbei eine Strategie, nach der sowohl Know-How als auch industrielle Ausbeutung im Land verankert werden soll. Joint Ventures mit ausländischen Firmen werden dabei zumindest teilweise nach dem Muster aus der Erdgas-Förderung über die staatliche Firma ›YLB‹, die 51 % am jeweiligen Joint Venture hält, ins Leben gerufen.
Evo Morales behauptet, dass sein Sturz Ende 2019 (auch) wegen des Zugangs zu Lithium in Bolivien für die US-amerikanische Firma Tesla inszeniert wurde. Elon Musk, konfrontiert mit dieser Aussage, antwortet auf Twitter: „We will coup whoever we want! Deal with it.“ – ein Tweet, den er später wieder löscht.
Kinder-Arbeit und Kinder-Gewerkschaften
Bolivien ist seit jeher ein Land, in dem es Kinderarbeit gibt, so wie in vielen anderen armen Ländern auch. In Übereinstimmung mit den Regeln der ›ILO‹ ist diese gesetzlich nicht toleriert, was dazu führt, dass die Kinderarbeit de facto im illegalen Raum stattfindet, etwaige Regelungen zum Arbeitsschutz also noch nicht einmal theoretisch existieren.
Die arbeitenden Kinder lehnen sich dagegen auf und gründen 2000 eine eigene Gewerkschaft, die ›UNATSBO‹. Diese Bewegung ist so stark, dass sie 2011 eine Gesetzesvorlage zur Legalisierung der Kinderarbeit vorlegt, und dass 2014 das bolivianische Parlament tatsächlich die Kinderarbeit unter bestimmten Schutzvorschriften gesetzlich absichert. Die Umsetzung steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Im Manifest der UNATSBO vom 10.11.2017 fordern Vertreter regionaler Kindergewerkschaften (Beni, Cochabamba, El Alto, La Paz, Llallagua, Oruru, Potosi, Santa Cruz) in einer gemeinsamen Erklärung u.a. die Mitsprache in Dingen, die sie betreffen. Die Autoren protestieren insbesondere gegen die Nichtzulassung der ›UNATSBO‹ bei den Verhandlungen zwischen der bolivianischen Regierung und der ILO. Des Weiteren halten sie die Forderung nach dem Recht der Kinder und Jugendlichen auf würdige Arbeit und Ablehnung von Ausbeutung aufrecht.
Die ›ILO‹ stellt sich von Anfang an gegen diese Entwicklung und bleibt bei ihrem strikten Nein zur Kinderarbeit, obwohl viele Experten die Legalisierung als eindeutige Verbesserung für die Lebenssituation der Kinder sehen, und obwohl die ›ILO‹ selbst keine Alternativen anzubieten hat. 2018 stärkt die Trump-Administration der ›ILO‹ den Rücken und setzt Bolivien unter Druck: Entweder schafft Bolivien die Legalisierung der Kinderarbeit wieder ab, oder die USA entziehen Bolivien Zollprivilegien. Noch im gleichen Jahr kassiert das bolivianische Parlament das Gesetz zur Legalisierung der Kinderarbeit wieder ein. Die Presseerklärung der ›UNATSBO‹ gegen diese Rücknahme der Legalisierung der Kinderarbeit bezieht sich eindeutig auf die Erpressung durch die USA und fordert zum wiederholten Male ein Mitspracherecht der Kinder und Jugendlichen ein.
Vgl. dazu auch Ein paar Eckdaten zu Bolivien aus dem 21. Jahrhundert und Statistiken zu Bolivien aus dem 21. Jahrhundert